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Lieber Schaf als Hirte

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Meiner Affinität zu Schafen konnte ich diese Woche in einem Artikel für die Christ & Welt in der ZEIT Ausdruck verleihen. Auf einer nächtlichen Autofahrt ist vergangenen Freitag folgender Artikel über meine Gedanken zum Vorbildsein im Pfarrberuf entstanden. Es bleibt hoffentlich der einzige Artikel, den ich aus Zeitgründen auf dem Handy tippen musste. Der letzte soll es aber nicht sein.Die Leute machen sich Sorgen um mich. Ob ich mir das mit der Kirche auch gut überlegt hätte, fragen manche. Andere sind überrascht. Sie stellen sich unter einem Pfarrer wohl eher einen älteren Herrn vor. „Dann bist du bestimmt ziemlich  religiös“, wird gerne gemutmaßt. Ich frage mich, was damit gemeint ist. Ich studiere „Evangelische Theologie auf Erstes Theologisches Examen“. Bevorzugtes Ziel dieses Studiengangs ist das Pfarramt oder der Pastorendienst. Doch egal, wie das Amt heißt, es sind große Erwartungen daran geknüpft. Muss ich diese erfüllen?

Der letzte Pfarrer in meiner Familie vor mir ist mein Großonkel. Er ist inzwischen pensioniert. Seit er weiß, dass ich Theologie studiere, hat er mich schon zweimal zu sich eingeladen. Ich höre mir gerne seine Geschichten von früher an. Einige seiner Bücher hat er mir vermacht. Nicht wenige davon hat er selbst geerbt. Seit mehreren Generationen sind sie nun in Gebrauch, was in der Theologie nicht allzu schlimm ist. Die großen Fragen, die mir in meinem Studium begegnen, haben auch meinen Großonkel und seine Vorfahren schon bewegt. Doch auch wenn sich unsere Ausbildung und der Lesestoff sehr ähneln, wird das Amt, das mich erwartet, ein anderes sein.

Das Pfarramt ist auch nicht mehr, was es einmal war: Der Herr Pfarrer war einmal jemand. Der Herr Pfarrer war gebildet, genoss ähnlich viel Ansehen wie ein Arzt, war überall bekannt und nicht nur durch die wöchentliche Predigt  einflussreich. Im besten Fall brachte er eine Frau Pfarrer mit in die Gemeinde, die als gute Seele an seiner Seite alle Aufgaben übernahm, die er nicht bewerkstelligen konnte oder wollte – unentgeltlich, versteht sich. In diesem Rollenspiel passt der lateinische Begriff Pastor besser als der aus dem Griechischen entlehnte Pfarrer. Der „Hirte“ kümmert sich um seine Schäfchen, er leitet sie mit seiner für die Schafe undurchdringlichen Weisheit, bewahrt sie vor dem bösen Wolf und hält ihnen auch sonstige Unruhen vom Fell. Im Gegenzug folgen sie ihm auf Schritt und Tritt.

Nicht selten begegnet mir dieses antiquierte und patriarchale Berufsbild in Gesprächen mit jenen Leuten, die sich Sorgen um meine Zukunft machen. Dabei haben noch nicht einmal mein Großonkel und meine Großtante dieses Rollenspiel mehr mitgespielt. Das Pfarramt ist in ständigem Wandel, und es profitiert sehr von den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Dieser Wandel setzt mich nicht unter Druck, im Gegenteil, er setzt vielmehr Energie in mir frei. Mein Interesse, als Patriarch einer Gemeinde einer sogenannten Verantwortungselite anzugehören, geht dagegen gegen null. Die aktuellen Bestrebungen in der evangelischen Kirche, eine Hierarchie der Verantwortung und Begabung zu konstruieren, halte ich für reaktionär. Gemeinde verstehe ich vielmehr als Proberaum für Mitmenschlichkeit und Gemeinschaft, als Ort für Vertriebene und Getriebene, als Lesestube der Geschichten Gottes. Die Gemeinde ist für mich die kleine revolutionäre Zelle im großen Organismus „Kirche und Gesellschaft“. Hier wird Neues erprobt und Altes hochgehalten. Hier soll zu Wort kommen, was die Menschen bewegt, reizt, stört, herausfordert, kränkt und heilt. Als Pfarrer würde ich dafür gerne als Teil einer Gemeinde Wege finden und die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellen. Menschen wenden sich noch immer vertrauensvoll und mit unterschiedlichsten Motiven an die Kirche. Ich würde gern verhindern, dass sie enttäuscht wieder gehen.

In der Geschichte, an die ich glaube, die ich studiere und von der ich mich leiten lasse, wird der Hirte selbst zum Schaf. Er mischt sich unter die Herde und wird dadurch zum Vorbild. Damit ist das Priestertum aller Gläubigen nicht die Krönung des niederen Fußvolkes, es ist die Demokratisierung des Pastorendienstes. Ich möchte, dass diese Geschichte Wirklichkeit wird. Dabei wäre ich gern integer, ansprechbar, kritik und vertrauenswürdig. Als Pfarrer wäre ich viel lieber Schaf als Hirte. Mir ist bewusst, dass die Wirklichkeit von dieser Geschichte weit entfernt ist: Gemeinden werden zusammengelegt, Kirchen umfunktioniert, Gelder gestrichen, Stellen gekürzt. Da bleibt wenig Zeit für die Utopie der progressiven Gemeinde.

Oft fehlt die Zeit für den eigentlichen Grund dieser Arbeit: die Menschen. Von Freunden, die bereits regelmäßig im Talar zu sehen sind, höre ich, dass von ihnen vielmehr Leitung erwartet wird. Meine Bekannten vernetzen sich und tauschen sich darüber aus, wie sie dem Druck standhalten, und helfen sich gegenseitig. Vor diesem Teil meiner Zukunft im Pfarramt habe ich großen Respekt. Noch nie hat allerdings jemand von mir verlangt, als angehender Pastor müsse ich besonders vorbildlich leben. Diesen Anspruch erhebe bisher nur ich selbst an mich.

„Darf ich Ihnen einmal eine Frage stellen?“, fragte mich vor Kurzem eine Taxifahrerin. Dass ich evangelische Theologie studiere, konnte sie sich selbst zusammenreimen. Wer die Missionsstraße auf dem „heiligen Berg“ in Wuppertal ansteuert, wird in nicht allzu ferner Zukunft Pfarrerin oder Pfarrer. Bevor sie aber mit der Sprache herausrückte, druckste sie herum. Innerlich war ich bereits auf Frommes vorbereitet: „Wurde die Welt wirklich in sieben Tagen erschaffen? War Jesus nicht doch eine Frau? Komme ich in den Himmel?“ Doch die Taxifahrerin hatte etwas anderes im Sinn. Sie stellte mir die einzige Frage, zu der ich rein gar nichts sagen konnte: „Was verdient so ein Pfarrer eigentlich?“


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